Bierling Stephan
Geschichte des Irakkriegs
Der Sturz Saddams und Amerikas Albtraum im Mittleren Osten
Verlag: C.H.Beck-Verlag, München
Erscheinungsjahr: 2010
Umfang: 253 S. mit 11 Abbildungen und 5 Grafiken
ISBN-13: 978-3-406-60606-9
Preis:12,95 €
Dieses Buch beim Verlag...Dieses Buch bei amazon.de...Dieses Buch bei buecher.de...Anlässlich einer Präsentation seines neuen Buches wurde Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, von einem Kollegen aus der Amerikanistik, der sich in Neuerer und Neuester Geschichte habilitiert hat, gefragt, warum er sich getraut habe, eine Geschichte des Irakkriegs schon zu einem Zeitpunkt vorzulegen, zu dem der „Pulverdampf kaum verraucht“ sei. Der Autor verwies auf die exzellente Quellenlage (vgl. Umfang von Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Bildnachweis S. 224 – 249), die es ihm ermöglichte, die erste Gesamtschau des Krieges von seiner dramatischen Vorgeschichte über den Sturz Saddams und die katastrophale Nachkriegsplanung bis hin zur aktuellen Lage zu liefern: „So intransparent die Kriegsgründe der Bush-Regierung waren, so ausgezeichnet wissen wir heute über die internen Debatten, die Nachkriegsplanung und den Kriegsverlauf Bescheid.“ Bierling bezeichnete es als wichtigste Aufgabe der Zeitgeschichte, Fakten zu sammeln, auszuwerten und schlüssig zu interpretieren, um einer Legendenbildung entgegenzuwirken. In diesem Zusammenhang ist seine Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium zu sehen, die einen „Krieg ums Öl“ konstruierte. Dafür gibt es, so Bierling, keine Belege: Öl spielte in den internen Debatten der US-Regierung vor dem Krieg keine Rolle, eine Besetzung des Irak und der Ölquellen war nie geplant (vgl. Buch S. 131 ff.), die USA bezogen so gut wie kein Öl aus dem Irak, allenfalls könne man von einer Hoffnung auf stabile Öllieferungen nach einem Regimewechsel sprechen.
Warum haben sich die USA in das Abenteuer Irakkrieg gestürzt? „Unter dem Schock der Terroranschläge vom 11. September 2001 trieb sich die Bush-Regierung in einer Mischung aus Alarmismus, Selbsttäuschung und Allmachtsphantasien in das Projekt der Entmachtung ihrer langjährigen Nemesis Saddam Hussein. Der Präsident und seine engsten Berater waren besessen von der Angst, die Attacken auf das Word Trade Center und das Pentagon bildeten nur den Auftakt für einen Dauerangriff internationaler Terroristen gegen Amerika. Der zentrale Grund für den Krieg bestand im Wunsch von Bush Co., durch eine Demonstration der eigenen Macht ein Exempel zu statuieren … Nach der Erniedrigung durch 9/11 brauchte Washington einen Akt imperialer Selbstbestätigung. … Der Irak wurde deshalb zur Zielscheibe, weil er der einfachste Gegner in der „Achse des Bösen“ war. Es lagen 16 Resolutionen des Sicherheitsrats gegen ihn vor, und er schien im Gegensatz zu Iran und Nordkorea leicht besiegbar“ (S. 8 f.).
Bush entschied laut Bierling oft aus dem Bauch heraus, für Beratung war er nicht offen bzw. waren seine Berater so ausgewählt, dass sie ihn in seiner vorgefassten Meinung stützten. „Es war … Vizepräsident Cheney, dessen Lageanalyse den Präsidenten … am stärksten beeinflusste. Er wurde getrieben von der Sorge, Al Khaida könne sich Massenvernichtungswaffen beschaffen, um sie gegen die USA einzusetzen. Wenn es für ein solches Szenario nur eine „einprozentige Chance“ gebe, … „müssen wir es als sicher annehmen und darauf antworten“ (S. 33 f.). Warnungen etwa von Außenminister Powell etwa vor den mit einem Militärschlag gegen der Irak verbundenen Risiken (S. 44 und 49 f.) blieben wirkungslos, und zu einem „Tun-Sie-es-nicht!“ konnte er sich nicht durchringen (S. 50).
Der dreiwöchige Krieg war zweifellos ein militärischer Erfolg. Aber es stellte sich heraus, dass die beiden wichtigsten Rechtfertigungen für den Angriff – die vermeintliche Produktion von Massenvernichtungswaffen und die Konspiration Saddams mit Al Khaida – jeder konkreten Grundlage entbehrten. Geradezu beklemmend schildert Bierling das Ausmaß der amerikanischen Inkompetenz auch auf höchster Ebene – und den gewaltigen Blutzoll, den der Konflikt bis heute vor allem der irakischen Zivilbevölkerung abverlangt hat und auch nach dem von Präsident Obama initiierten Abzug der US-Truppen abverlangen wird.
„Niemand beginnt einen Krieg - oder vielmehr sollte vernünftigerweise einen Krieg beginnen -, ohne sich zunächst darüber klar zu werden, was er mit diesem Krieg erreichen will und wie er ihn führen will.“ Diese rationalen Clausewitz-Worte hat Bierling seiner „Geschichte des Irakkriegs“ vorangestellt – eine pazifistische Grundhaltung wird man weder dem preußischen General und Militärtheoretiker noch Bierling zuschreiben: Die Genese seines Buches, die der Rezensent partiell miterleben durfte, spiegelt das ganz deutlich wider. Aber „Entscheidend ist, was hinten herauskommt“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Kohl einmal – sehr frei nach Äsop (um 600 v. Chr.) und Jesus Sirach (um 180 v. Chr.): „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“.
??Bierling Buch schließt dennoch mit dem Kapitel „Lichtblicke“ (S. 221 f.), in dem er die These aufstellt, dass „der Irakkrieg die USA moralisch und machtpolitisch nicht irreparabel beschädigt hat“ (S. 221). „Vermutlich wird sich der Irakkrieg im historischen Rückblick nicht als das erweisen, als was ihn seine Kritiker und seine Verteidiger darstellen: weder als das weltpolitische Fiasko noch als der Schlüssel zur Lösung der Probleme im Mittleren Osten und zur Demokratisierung der arabischen Welt“ (S. 223). Wer Amerikas Außenpolitik und seine Rolle im Mittleren Osten verstehen will, wird an Bierlings dichter und packend geschriebener Analyse nicht vorbeikommen; für den Unterricht in der neuen gymnasialen Oberstufe in Bayern (G/Sk Q 12) liefert es wertvolle Hintergrundinformationen, Textauszüge eignen sich hervorragend für Unterrichts- und Prüfungszwecke.
Vielleicht wird sich eines der nächsten Bierling-Bücher mit der Demokratisierung der arabischen Welt beschäftigen, von (un)tauglichen Versuche berichten uns ja täglich die Medien.
Theo Emmer
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