Whaley Joachim

Germany and the Holy Roman Empire
vol. I: Maximilian I to the Peace of Westphalia (1493 – 1648), geb., 2 Kt., 722 S.,
vol. II: The Peace of Westphalia to the Dissolution of the Reich (1648 – 1806), geb., 747 S.
Oxford University Press, inc., Oxford, 2012,
ISBN 978-019-873101-6 (vol. I), 978-019-969307-8 (vol. II),
Preis (lt. Angebot, bd. Bde.) 155,90 €

Joachim Whaley (*1954) lehrt als Germanist und Historiker in Cambridge mit dem Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit. Mit der zweibändigen, gewichtigen Publikation „Germany and the Holy Roman Empire“ stellt der Autor seine Forschungsergebnisse zur Geschichte des „Alten Reichs“ zwischen 1493 und 1806 vor, von den spätmittelalterlichen Reichsreformen bis zur unwiderruflichen Auflösung durch Franz II. unter dem Druck Napoleons. Er legt in 67 Abschnitten dar, dass und wie dieser Organismus in einer Art von „constitutional balance“ funktionierte: „Kaiser und Reich“ stellten trotz partikulärer und zentrifugaler Eigeninteressen seiner Glieder den Anspruch eines Zusammenhalts dar – in Reichsinstitutionen wie dem Reichskammergericht, dem Reichstag, den Reichskreisen, der Reichspost oder der Reichssteuern, der Grundtatsache folgend, dass die Fürsten zwar „overlords of their people, but never sovereigns“ waren.

Whaley`s Botschaft auf 1469 Seiten: Entgegen allen radikalen Revisionen in der (nationalen) Ge-schichtsschreibung seit dem 19. Jahrhundert ist für den behandelten Zeitraum ein roter Faden kennzeichnend, der als Botschaft verstanden werden kann, derzufolge die Geschichte bis 1806 keine Blaupause für das Europa des 21. Jahrhunderts bereitstellt, sehr wohl aber dem Verständnis dient, „wie Deutschland und Europa zu dem wurden, was sie heute sind“.

Dem Autor gelingt der Spagat zwischen fachlicher Detailverliebheit und dem Blick auf die großen Linien: von der Zustandsanalyse für das 15./16. Jahrhundert unter Berücksichtigung der räumlichen und politischen Grenzen, den Herausforderungen für das Kaisertum zwischen Reichsreformen und Krisen (Habsburger), die Territorien auf dem Weg der Staatsbildung (u.a. durch Konfessionalisierung) und die Reichskirche durch die Reformation (zwischen der Dominanz der Lutheraner gegenüber alternativen Richtungen), den Versuchen der Wahrung des inneren und äußeren Friedens durch Geltendmachung des Kontextes von Frieden und Recht. Whaley zeichnet dabei die Problemfelder mit Akribie nach und weicht Risiken der Interpretation nicht aus: Außenpolitik für das Reich in Europa unter dem Aspekt divergierender Interessen der spanischen und deutsch-österreichischen Habsburgerdynastie vor und nach 1648, der Frage nach dem Charakter des 30-jährigen Krieges („religion was never the sole motivating force“), bestimmt durch Pamphlete der Kriegspropaganda (Flugblätter) und die Art der Kriegführung (u.a. Wallenstein, Ernst von Mansfeld oder Bernhard von Sachsen-Weimar als „Kriegs-Unternehmer“), schließlich des Westfälischen Friedens, der das Ende jeden Versuchs bedeutete, eine einheitliche „deutsche Monarchie“ als Zentralstaat zu begründen, in dem in den „instrumenta pacis“ von Münster und Osnabrück Schlüsselbegriffe wie „deutsche Liber tät“ und „Herrschaft des Rechts“ die Textauslegung bestimmten.

Es ist ein Vorteil des Werks von Joachim Whaley, dass er dem Leser eine Gesamtdarstellung aus einer Hand – und aus einem Guss bietet. Der Autor setzt auch im 2. Band sein Gliederungsprinzip konsequent um: In 6 Kapiteln lässt er die Entwicklung des Alten Reichs von 1648 bis 1806 Revue passieren: zwischen inneren Problemkonstellationen (u.a. Immerwährender Reichstag als Gesandtenkongreß, das Verhältnis zwischen Habsburg und kleineren Territorien), äußeren Bedrohungen und Konfliktlagen („neue Türkengefahr“ im Südosten, die „Schlesischen Kriege“, Frankreich als „Reichsfeind“, 1689), kulturgeschichtliche Entwicklungen (u.a. Barock und die katholische Volksreligiosität, die Position des Corpus Evangelicorum in Bezug auf „a territorialized faith“, die Rolle von protestantischer, katholischer und jüdischer Aufklärung, Josefinismus und staatliche Reformen) einschließlich der Fragestellung, ob Reformschritte (Wirtschafts-, Steuer-, Sozial- und Bildungssystem) gegen Revolution(en) immunisieren können. Im Schlußkapitel stellt Whaley „Kontinuität und Wandel“ im Alten Reich zwischen 1792 und 1806 als Konsequenz aus den Ereignissen der „Revolu tionskriege“ in den Blickpunkt: die Habsburger kurz vor dem finanziellen Bankrott und ohne Aussicht, die Führungsrolle im Reich nach dem Frieden von Lunéville (1801) wiederzuerlangen, für die Reicchstände sollte sich eine Kompensation für Gebietsverluste durch Säkularisation und Mediatisierung abzeichnen, was jede Motivation für mögliche Sympathien für Vorstellungen einer (letzten) Reform des Reichs abstürzen ließ – seien es die Pläne deutscher Jakobiner oder Ideen akademischer Staatstheoretiker zu „Reichsbürgerrecht“, „Reichsbürgerschaft“, „freier Religionswahl“ oder „Volks souveränität“. Der mit dem Reichsdeputationshauptschluß (1803) verbundene Schnitt war für das Alte Reich gleichbedeutend wie die Französische Revolution für das „Ancien Régime“ (1789 ff.): Die Saekularisation war bereits 1802 in der Methode ein Kulturkampf, wie Whaley es an Beispielen aus dem oberbayerischen Kloster Rottenbuch dokumentiert (betr. Gemälde, Bibliotheksbestände, Gebäude als Baumaterial). Die Wieskirche bei Steingaden – heute Weltkulturerbe – war zum Abbruch für 20000 fl. freigegeben und konnte nur durch die Spenden „ignoranter Bauern“ gerettet werden. In der Rechtsgeschichte stellt die formelle „Abdankung“ von Kaiser Franz II. einen Verfassungsbruch dar (Gerd Kleinheyer, 1987), während Joachim Whaley diesen Vorgang politisch wertet: Damit wurde ein Interregnum ausgeschlossen, zudem verhindert, daß die Reichskrone in die Hände Napoleons I. oder eines der Kurfürsten fiel. Fazit: Ob das Vorgehen von Kaiser Franz II. (il-) legal war, es ändert nicht das Faktum, dass am 06.08.1806 das Hl. Römische Reich Dt. Nation „erledigt“ war („extinguished irrevocably“).

Der Autor zieht für seine Schlußfolgerung zwei Zeitzeugen heran: Joseph Anton von Vahlkampf, Protonotar am Reichskammergericht in Wetzlar (1806) und Wilhelm von Humboldt (1813). Ihre Reaktionen bewegen sich zwischen Schock und Perspektive für neue Realitäten, mit denen Joachim Whaley sein Werk ausklingen lässt: „It lies in the natural composition of things that in the feelings of its inhabitants and in the eyes of their neighbours, Germany will remain, within frontiers either enlarged or contracted according to circumstances, One Nation, One People, One State.“

Joachim Whaley hat mit diesen beiden Bänden einen großen Wurf gewagt, der im Sprachduktus sehr flüssig, in seinem dt.-engl. Glossar der Fachbegriffe und einer sehr reichhaltigen Bibliographie und einem umfangreichen Register für den Nutzer leicht lesbar ist. Fachlich regt er zu einer Vertiefung an und kann ohne Einschränkung als ein wertvolles Handbuch für Geschichtslehrer, Studenten und Journalisten dienen. Es ist wohl britisches understatement der OUP, diese Arbeit „nur“ für den englischen (!) Sprachraum gedacht zu haben. Es wäre wünschenswert, wenn die beiden Bände nicht nur die Regale von Instituts- und Fachbibliotheken bereichern würden – der Rezensent empfiehlt das Werk für die Hand des am historisch-politischen Entwicklungsgang Deutschlands in Europa interessierten Mitbürgers, für die Bibliotheken an Gymnasien und Volkshochschulen.

Willi Eisele
Wolfratshausen
Bayer. Geschichtslehrerverband e.V. ,
Landesfachgruppe G/Sk im bpv