Mit brennender Sorge

Franz Xaver Schmid,
Verborgener Inspirator – Bf. Joannes Baptista Sproll und die Enzyklika
„Mit brennender Sorge“ von Papst Pius XI.,
Lindenberg, Kunstverlag Josef Fink, 2019, 48 S., 5 Abb., 8,50 €
ISBN 978-3-95976-197-0

Mit der Arbeit über die aktive Rolle des Rottenburger Bischofs Joannes Baptista Sproll (*1870, Bf. von 1927-1949, im Exil 1938-1945, + 1949) legt Pfarrer i. R. Franz Xaver Schmid (Munderkingen) seine siebte Untersuchung zu Leben und Werk dieses „Bekennerbischofs“ aus Oberschwaben mit der Kernthese vor, dass Joannes Baptista Sproll als „verborgener Inspirator“ unter kollegial-konspirativen Bedingungen „mit klarem Auge und in großer Sorge“ an der Vorbereitung jenes kirchlichen Lehrschreibens beteiligt war, das als „Höhe- und Wendepunkt der päpstlichen Politik gegen den Nationalsozialismus“ (Thomas Brechenmacher, 2011) gilt.

Schmids Recherche bestätigt in der Beurteilung der Lage der katholischen Kirche im Dritten Reich eine Feststellung des engsten Mitarbeiters von Eugenio Pacelli (Nuntius, später Papst Pius XII.), P. Robert Leiber SJ (1887-1967), dass der Weg zur Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (14./21.03. 1937) mit der realistischen Einschätzung begonnen habe, dass die NS-Regierung mit dem Reichskonkordat vom 20.07.1933 keinesfalls auf ihre ideologischen, antichristlich-neuheidnischen Ziele verzichten wollte und formale Garantien für die Kirche(n) mit zunehmender Absicherung der eigenen Macht als obsolet angesehen hat.

Dass Bf. Joannes Baptista Sproll und Kardinal Michael von Faulhaber die zunehmend „problemgela dene Frontstellung“ zwischen Christentum und NS-Ideologie zusammengeführt hat, belegt der Verfasser neben ihren Begegnungen bei Tagungen der Dt. Bischofskonferenz an sechs (Geheim-)Treffen zwischen dem 14.11.1935, den Vier-Augen-Terminen von Kardinal Faulhaber und Bischof J.B. Sproll im Krumbad bei Bad Krumbach und der Abreise einer gezielt ausgewählten Delegation des Episkopats (Kardinal Bertram, Breslau; Kardinal Schulte, Köln; Kardinal Faulhaber, München; Bf. von Galen, Münster; Bf. von Preysing, Berlin) in den Vatikan auf Einladung von Kardinalstaatsse-kretär Eugenio Pacelli vom 21.12.1936, aber auch in der Nachbereitung dieses Termins „zur Zeitlage“ in Bad Ditzenbach zwischen Kardinal Faulhaber, Bf. Sproll und Prof. Dr. Adolf Keller vom Ökumenischen Rat (Genf) am 04.-06.02. 1937. Dass Sproll und Faulhaber theologisch und kirchen-politisch an einem Strang zogen („kein anderes Evangelium“, keine Religion „aus Rasse und Blut“) zeigen auch abgestimmte Kernzitate aus Predigten zur Frage „Reichskonkordat: Ja oder Nein?“ (14.02.1937) bzw. die „17 Keulenschläge“ eines Forderungskatalogs der deutschen Bischöfe vom 13.01.1937, gerichtet an das Berliner Reichskirchenministerium.

Sei es die kirchliche Jugendarbeit, seien es die Bekenntnisschulen oder die Frontstellung gegen das NS-Ziel einer „nationalen deutschen Einheitskirche“: ab 1936 ging es nur noch darum, „den Bestand [an Glaubensinhalten und körperschaftlichen Rechten] zu sichern und zu kämpfen“, verbunden mit dem entschiedenen Appell an die Gemeinden: „Treue auch, wenn alle untreu werden sollten“, um den „reinen Gottesglauben, den reinen Christusglauben, den reinen Kirchenglauben“ als Bollwerk gegen NS-Übergriffe abzusichern. Um dies in eine Form zu gießen, plante Rom ein „Pastorale“ zu formulieren (Pacelli, Juni 1936), das in der Vorstellung von Kardinal Faulhaber und Bf. Sproll in ein „Apostolisches Schreiben“ münden sollte. Parallel wurde das Ziel verfolgt, in Berlin (Reichskanzlei, RKM Hanns Kerrl) in einem Gesprächstermin die „gravamina“ deutlich anzuspre-chen (17./18.08.1936). Nachdem ein Termin bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg erst am 04.11. 1936 für Kardinal Faulhaber mit einem „Null-Ergebnis“ endete, war für Kardinal Schulte (Köln) klar, „dass wir an die Öffentlichkeit gehen müssen“ (10.11.1936). Dies war das Signal für die o.e. intensiven Kontakte zwischen Kardinal Faulhaber und Bf. Sproll zwischen 12.12.1936 und 13.01.1937 zur Vorbereitung des Besuchstermins der Fünfer-Delegation des Episkopats im Vatikan.

Franz Xaver Schmid zieht aus den engen Gesprächskontakten zwischen Kardinal Fauhaber und Bf. Sproll den Schluss, dass für die nachts fertiggestellte Textvorlage des Entwurfs von Kardinal Faulhaber für das römische „Pastorale“ vom 21.01.1937, dessen Endredaktion bei Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli unter Beiziehung von P. Robert Leiber SJ und Prälat Ludwig Kaas lag, dass der Bischof aus Rottenburg „als verborgener Inspirator, wenn nicht sogar als verborgener Co-Autor“ des Lehrschreibens „Mit brennender Sorge“ angesehen werden könne, einem Dokument, das weit über einen gemeinsamen Hirtenbrief der deutschen Bischöfe – in deutscher Sprache verfasst – die Weltkirche und die internationale Politik über die fundierte Kritik der höchsten kirchlichen Autorität am Nationalsozialismus nach perfekter Geheimhaltung ohne diplomatische Floskeln und in vollem Wortlaut am Palmsonntag, 21.03.1937 in Kenntnis setzen sollte. Der im Vatikan wirkende Jesuit P. Friedrich Muckermann (1883-1946) erkannte in diesem Coup, dass „die Kirche das Gesetz des Handelns zurückgewonnen“ habe. Als Mitglied der „Bekennenden Kirche“ bezeichnete Wilhelm Frhr. von Pechmann (1859-1948) die Enzyklika in ihrer Wirkung über die katholische Kirche hinaus als eine „Kraftquelle für alle Christgläubigen, aus welcher wir nicht aufhören werden, immer und immer wieder zu schöpfen“, während der Wortlaut für den NS-nahen „Evangelischen Bund“ - Gerhard Ohlemüller und Fritz von der Heydt - in der Zs. „Wartburg“ (36, 1937) als Zeugnis eines gegenreformatorischen, politischen Katholizismus kritisch glossierten: „Das deutsche Volk kann diese Erweiterung und Verstärkung der feindlichen Front nicht unerwidert lassen“.

Das konspirative Zusammenspiel der Bischöfe untereinander bewährte sich auch im Hinblick auf die Logistik und den Verbreitungsmodus reichsweit: Bf. Joannes Baptista Sproll bezog „sein“ Kontingent über das Erzbistum Freiburg, die von Kurieren aus dem Klerus am 20.03.1937 den Pfarreien zugestellt wurden. Die Spitzen der NS-Regierung und die gleichgeschaltete Presse reagierten erwartungsgemäß: Verbot der Weiterverbreitung der Enzyklika als Drucksache, Konsequenzen für Druckstätten, Beschlagnahme von Restexemplaren nach Razzien in den Gemeinden. Dass Kardinal Faulhaber am 03.04.1937 die Verantwortung für die Verlesung des päpstlichen Rundschreibens übernommen hat, ohne dass seine „Federführung“ bekannt wurde, war für ihn ein Schutzschild und mag ihm das Schicksal seines Rottenburger Mitbruders Joannes Baptista Sproll erspart haben, der von Stund' an zum Feindobjekt der Nationalsozialisten und in seinem offenen Widerstand auch innerkirchlich zur persona non grata wurde, die der Kirchendiplomatie unbequem wurde. Ob eine spezielle Dialektik der Aussage Papst Pius XII. gegenüber Reichsaußenminister Joachim von Robbentrop zugrundelag, als er am 12.03.1940 Bischof Sproll als „politisch tot“ bezeichnete, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Zu diesem Zeitpunkt war der Oberschwabe bereits „vom Streiter zum Dulder“ im Exil geworden (Prälat Bernhard Hanssler, Biberach, 30.10.1983): Die NS-Regierung von Württemberg unter Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr und Kultminister und Ministerpräsident Christian Mergenthaler hatten am 24./28.08. 1938 den streitbaren Bischof seiner Diözese verwiesen. Hauptorte seines Exils waren St. Ottilien unter Erzabt Chrysostomus Schmid OSB (Sept. 1938 - 23.01.1941) und das Rheuma-Lazarett Krumbad unter Oberin M. Gosberta Vochezer OSJ (Bad Krumbach, Reg. Bez. Schwaben; 24.01.1941 - 12.06.1945). In dieser Zeit waren es nicht nur körperliche Leiden, sondern v. a. auch innerkirchliche Zumutungen eines Amtsverzichts anlässlich eines „Gratulations-Besuchs“ des päpstlichen Nunitius Cesare Orsenigo in Begleitung von Wbf. Heinrich Wieken (Berlin) im Krumbad am 31.05./01.06.1941 im Vorfeld des 25. Bischofsjubiläums von J.B. Sproll, der sich damit von seinen Kirchenoberen „allein gelassen fühlen musste“.

Es ehrt den Verfasser der Broschüre über Bf. Sproll als „verborgenen Inspirator“, Pfarrer i. R. Franz-Xaver Schmid, den „unbegreiflich und unverständlich ins Vergessen geratenen Bekennerbischof“ (Bf. Georg Moser, 1923-1988, zit. 1979) aus dem „Schatten des Verkanntwerdens und der Einsamkeit als Kehrseite radikaler Gewissensentscheidungen“ (Bf. Gebhard Fürst, zit. 2009) im Kontext des laufenden Seligsprechungsverfahrens ins rechte Licht zu rücken – historisch und menschlich gesehen ein echtes Desiderat, i. S. v. Wbf. Anton Herre (1910-1993) gegenüber Papst Johannes Paul II. (München, 1987): „Am meisten zugesetzt haben die Nazis doch unserem Bischof Sproll!“

Willi Eisele
Wolfratshausen