6. Münchener Kontaktstudium

erschienen 2003

Eli Bar Chen u.a.
Jüdische Geschichte – Alte Herausforderungen, neue Ansätze
»Münchner Kontaktstudium Geschichte, Band 7«
Utz-Verlag, Neuried, 2003
208 S., brosch. - detaill. Auswahlbibliographie (S. 194-204) - 14,80 €
ISBN 3-8316-0291-3

Die 6. Folge des Münchner Kontaktstudiums für Geschichtslehrer bot den Teilnehmern einen Einblick in die „Werkstatt der Geschichte“, um diesmal die jüdische Geschichte zwischen alten Herausforderungen und neuen Ansätzen vorzustellen. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Michael Brenner (LMU, Lehrstuhlinhaber seit 1997) ist auch der vorliegende Berichtsband entstanden, herausgegeben von Eli Bar Chen und Anthony D. Kauders.

Der Band bietet damit den aktuellen Forschungsstand (2003) , Schwerpunktthemen der Didak tik und Fallbeispiele. Alle Beiträge nehmen aktuelle Ansätze zur Behandlung der jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert auf. Ihre Autoren verstehen sich als Mittler, traditionelle Sicht-weisen kritisch zu hinterfragen und neue Wege anzuregen. Gewissermaßen als roter Faden ist die Forderung Michael Brenners zu verstehen, „die jüdische Geschichte als internationale Geschichte zu verstehen, für die ein Wissen über verschiedene Kulturkreise unabdingbar sei – weg von der Idee, die Geschichte der Juden sei zu allererst die Geschichte ihrer Verfolgung gewesen“. Gleichzeitig zeigen diverse Positionen der Forschung, dass die Verengung auf die deutsch-jüdische Geschichte dem Gesamtbild nicht gerecht werde.

Neben den kulturgeschichtlich höchst interessanten Beiträgen sei hier auf die Geschichte der Juden in islamischen Ländern (Persien/Iran, Irak, Jemen, Syrien oder Marokko) verschieden, aus der Eli Bar Chen drei zentral Forderungen an die Historiographie ableitet: Korrektur des Bildes vom „orientalischen Juden“, Befreiung der jüdischen Geschichte von ihren „kolonialen Fesseln“ und die Entschärfung der Beziehungen zwischen Judentum und Islam durch einen Perspektivenwechsel in Richtung einer „gemeinsamen Geschichte“. Heike Spechts Fallbeispiel der Familien Feuchtwanger und Fraenkel stellt den Mythos in Frage, vor 1933 hätten jüdische Mitbürger ihr Judentum als rein konfessionell-religiöse Privatangelegenheit definiert, um – wie ein Zitat von Peter Gay zeigt – im Jahr 1933 festzustellen: „wir waren plötzlich Ju-den geworden“ (1999). Es war das Jahr, in dem Rachel Straus den Entschluß fasste, München und Deutschland möglichst schnell zu verlassen, „um in Palästina, Erez Israel …neue Heimat, neue Lebensmöglichkeit“ zu sehen. Ergänzt durch die Erörterung der Rolle des Fiskus bei der „Entziehung, Verwaltung und Verwertung jüdischen Vermögens“ am Beispiel jüdischer Ärzte in München, zeigt Axel Drecoll die Funktion der „Arisierungsstelle“ bis zum 30.06.1943, bei der etwa 10000 Münchner Juden erfasst wurden auf und Anthony D. Kauders nimmt die „Ver gangenheitsbewältigung“ (Bsp. München) in den Blick.

Ulrich Baumgärtner greift die politisch-moralischen Herausforderungen des historischen Lernens in der Schule auf. Zur „Holocaust Education“ stellt er fest, dass die Wiedereinführung einer Geschichts-betrachtung, „bei der vergangene Ereignisse zu politisch-moralischen Exempla werden, für das historische Lernen fatal“ sei. Er gibt damit einen Einblick die anhaltende Diskussion zwischen Vertretern der Didaktik der Geschichte und der Didaktik des Geschichtsunterrichts: Geschichte als Denkfach ziele auf ein „reflektiertes Geschichtsbewusstsein“ auf der Basis von „verlässlichem, verfügbarem Wissen“, ergänzt durch Fertigkeiten, sich dieses Wissens selbst zu erarbeiten – Belege für die Interessengeleit- und Standortgebundenheit unserer Disziplin. Jeder Geschichtslehrer bemüht, den breiten Horizont von Geschichte nicht „auf das politisch Erwünschte zu verengen“, rationale Aufklärung habe Vorrang vor Gesinnungsbildung.

Willi Eisele, OStD
Landesvorsitzender des Bayer. Geschichtslehrerverbandes (BGLV e.V.)
und der Landesfachgruppe Geschichte/Sozialkunde im bpv