Grafeneck

»Wohin bringt Ihr uns?«
NS-Euthanasie im deutschen Südwesten

Verlag: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart
Erscheinungsjahr: 2011
Umfang: 48 S.

Dieses Buch beim Verlag...Von Thomas A. Stöckle M.A. und Franka Rössner vom Dokumentationszentrum der Gedenk-stätte Grafeneck stammt auch die überarbeitete Fassung der Handreichung für Geschichtsleh-rer und Mittler der politischen Bildung über den belasteten NS-Begriff Euthanasie. Das NS-Verbrechen auf dem Gelände von Schloß Grafeneck bei Gomadingen (Schwäbische Alb), bei dem 1940 insgesamt 10 654 kranke Männer, Frauen und Kinder aus 48 Einrichtungen, die im Rahmen der „Aktion T 4“ - als „lebensunwertes Leben“ eingestuft – ermordet wurden, hat für den Südwesten eine landes- und regionalgeschichtliche Dimension und reicht in die Orts- und Familiengeschichte von Opfern und Tätern hinein. Auch der Tübinger „Grafeneck-Prozeß“ (1949), der nach alliiertem Recht (Kontrollratsgesetz Nr. 10) bewertete bei 8 Angeklagten ihre „Beihilfe zum Mord“ als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, durchgeführt mit Kohlenmonoxid-Gas in einem als landwirtschaftliches Nebengebäude getarnten (nach 1945 abgerissenen) Schuppen (2 Gaskammern) und einem Krematoriumsgebäude. Reichsweit wurden 1940/41 über 70 000 Menschen Opfer der NS-Kranken- und Behindertenmorde: neben der „Landes-Pflege-Anstalt Grafeneck, Münsingen“ wird heute in den Gedenkstätten Branden burg, Bernburg (Sachsen-Anhalt), Hadamar (Hessen), Pirna (Sachsen) und Hartheim (Oberösterreich) dieser Verbrechen gedacht.
Die Handreichung zu Grafeneck ordnet diese NS-Verbrechen zutreffend ein: als arbeitsteili-ges Großverbrechen des NS-Staates mit einer arbeitsteiligen Täterschaft innerhalb des NS-Staates. Sie erfasst zudem die „Kinder-Euthanasie-Morde“ an 5 000 Säuglingen und Klein-kindern in Kinderfachabteilungen (1939/45), die dezentrale Euthanasie an ca. 30 000 Men-schen in psychiatrischen Einrichtungen im Deutschen Reich, in Polen und der UdSSR und gliedert Materialien und Arbeitsblätter in vier Kapiteln: Vorstellung der „Aktion T-4“ vom Euthanasie-Auftrag Hitlers an Reichsleiter Philipp Bouhler und Hitlers Begleitarzt Dr. med. Karl Brandt (1939) zur Ermächtigung „namentlich zu bestimmender Ärzte“, unheilbaren Kranken den „Gnadentod“ zu gewähren (sic!), die Einbeziehung weiterer staatlicher Stellen (Berlin, Tiergartenstraße 4) und im Südwesten (Innenministerien Stuttgart und Karlsruhe) und die Zuführung aus etwa 500 Heil- und Pflegeanstalten nach Selektion vor Ort via Deportation in den „grauen Bussen von Grafeneck“ - dreimal in der Woche.

Die Handreichung beinhaltet Quellen und Materialien (Schaubilder, Graphiken), die die ras-senbiologischen Hintergründe (Karl Bindung/Alfred Hoche, 1922) ebenso belegen wie Do-kumente von Opfern und deren Familien, aber auch von Tätern. Eindrucksvoll sind das Pro-testschreiben des evangelischen Landesbischofs Dr. Theophil Wurm an RMdI Wilhelm Frick (M 18) – Grafeneck war bis 1939 eine Einrichtung der ev. Samariterstiftung (Innere Mission) und der Predigtauszug des Bischofs von Münster, Kardinal Clemens Graf von Galen (03.08. 1941, M 19), der eine Ausweitung des Euthanasiebegriffs auf Invalide, kranke Alte, Kriegsver sehrte befürchtete. Hier vermisst der Rezensent einen Verweis auf den Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll (1870-1949), der wegen seiner Kritik am NS-Regime bereits 1938 nach Krumbad (Bayer. Schwaben) verbannt worden war und über seinen Generalvikar Max Kottmann zusammen mit Erzbischof Conrad Gröber (Freiburg) am 01.08.1940 gegen die Mor de in Grafeneck Protest erhoben hatte. Im Anhang liefert die Broschüre Literatur- und Medien hinweise (DVD) sowie Links zur Erinnerungskultur und spezielle Hinweise zu „Grafeneck als Bildungsort“. Zur Arbeit mit Oberstufenschülern sei auf die Akten über den „Grafeneck-Pro-zeß“ (1949) im StA Sigmaringen (Bestand Wü 29/3 T 1) hingewiesen.

Willi Eisele, OStD
Landesvorsitzender des BGLV e.V.


Dieses Buch beim Verlag...


(C) 2011 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken