Koloniale Vergangenheiten – (post)-) imperiale Gegenwart
Verlag: Berliner Wissenschaftsverlag Erscheinungsjahr: 2010 ISBN-13: 978-3-8305-1736-8 Preis: 32,00 €
Dieses Buch beim Verlag...Dieses Buch bei amazon.de...Dieses Buch bei buecher.de...Vor uns liegt der Berichtsband einer Vortragsreihe im Kontext der Begleitveranstaltungen zum 550. Gründungsjahr der Albert Ludwigs-Universität, ausgerichtet vom Historischen und Romanischen Seminar (2007/2008), die Erträge der Forschung im Aufriß dokumentiert. Die Autoren arbeiten die doppelte Perspektive jener komplexen historischen Entwicklungsprozes-sen und ihrer nationale und imperial bestimmten Wahrnehmungen und Deutungsmuster auf, um multiperspektivisch den Bogen zu schlagen zwischen dem Aufstieg und Fall von Kolonial reichen und einer Gegenwart mit postkolonial-imperialen Strukturen. Die Beiträge knüpfen an Edward W. Saids Thesen (1978) an, um aus den Kolonialstudien seit der Aufklärung einen Europazentrismus und daraus ableitend eine Legitimationsforschung für politische und kultu-relle Dominanz der Imperialismen zu erkennen. Waren historische Imperien also Modelle einer „Globalisierung vor der Globalisierung“ (des 20. und 21. Jhdts.) ? Die Autoren des Sammelbandes argumentieren gegen eine vorschnelle Instrumentalisierung Historischer Beispiele, indem sie Stationen der Entwicklung und „Erbschaften des Kolonia-lismus“ aus der Perspektive der Hauptkolonialmächte Spanien, Portugal, Niederlande, Groß-britannien und Frankreich, aber auch Aspekte eines „deutschen Tropenfiebers“ in Afrika oder den Wandel deutscher Migranten nach 1848 von Revolutionären zu Kolonisatoren in Südaus-tralien aufzeigen. Der deutsche Hang zu einem „Imperialismus der Seele“ als imperialer Son-derweg findet seinen Ausdruck in medienwirksamen Szenarien im Kaiserreich, in einer kolo-nialpolitischen Rhetorik, die das Fremde von einer Unterhaltungsindustrie zwischen Zirkus Busch, Varianten der rassistisch codierten „Mohrenwäsche“ in der Kunst und im Karneval, dem „Sarotti-Mohr“ der Werbung, der orientalisierenden „architecture parlante“ einer Yenid-ze-Zigarettenfabrik (Dresden) oder den gut frequentierten Kolonialwarenläden vermarkten: auf dem Boulevard und in der Lektüre empfanden deutsche Städter das „Glück der Kolonial-wirtschaft“ (Klaus R. Scherpe, S. 165-184). Der politische Aspekt des deutschen Imperialis-mus wird mit Kaiser Wilhelms II. Besuch der Gewerbe- und Kolonialausstellung in Berlin-Treptow (1896) und des Kaisers Reise über Konstantinopel nach Jerusalem (1898) in Beglei-tung von Lobbyisten aus dem Dt. Kolonialverein und des Alldeutschen Verbands und dem Presseecho auf diese „Symbolpolitik“ eingeführt, die übertroffen wurde vom Medienaufge-bot 1911, als Berliner Lichtspieltheater erste Filme einer grand tour des Kronprinzenpaares für eine Wohltätigkeitsgala zu Gunsten deutscher Invaliden in Deutsch-Südwest-Afrika und der Hinterbliebenen von dort „gefallenen Kolonialkriegern“ zeigten oder als im Zirkus Busch mit einer „Ausstattungspantomime“ über die Schlacht am Waterberg die Szenarien von der realen Politk eingeholt wurden, für die Namen wie General von Trotha oder Carl Peters ste-hen, wie sie bereits in der Reichstagsdebatte vom 13.03.1896 durch August Bebel angepran-gert wurde: von der Agitation für den Flottenbau, die zivilisatorische Mission („am deutschen Wesen...“), die religiösen Motive („die Vorsehung“), zweierlei Maß der Justiz gegenüber Ko-lonialverwaltung und Schutztruppen, aber auch mit Reizworten wie Rassismus und Sexualität („Verkafferung“) trug Bebels antikoloniale Rhetorik dazu bei, dass Carl Peters für seine Ver-brechen 1897 aus dem Reichsdienst entlassen wurde – sein Gnadengesuch führte im 1. Welt-krieg zu einer Teilrehabilitation, ein Memorial in Neuhaus/Elbe trägt heute den Zusatz: „Sein Wirken und der Gedenkstein sind umstritten.“ - Der Sammelband bietet neue Einblicke in die Kolonialpolitik und ihre Wirkungsgeschichte, die Lektüre der Beiträge zeigt Wege der For-schung und das Erbe postkolonialer Entwicklungen in Europa und Übersee auf.
gez. Willi Eisele, OStD Landesvorsitzender des BGLV e.V. und der Landesfachgruppe G/Sk im bpv
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