Mühlhäuser Regina

Eroberungen
Sexuelle Gewalt und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941 - 1945

Verlag: Hamburger Edition
Erscheinungsjahr: 2010
Umfang: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3-86854-220-2
Preis: 32,00 €

Dieses Buch beim Verlag...Dieses Buch bei amazon.de...Dieses Buch bei buecher.de...Die Bedeutung von Sexualität im Krieg ist in den letzten Jahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt - sei es durch Medienberichte von Massenvergewaltigungen z. B. im Kongo oder durch die UN-Resolution, die die Ausübung sexueller Gewalt erstmals als Kriegstaktik bezeichnet. Es gibt auch eine Reihe geschichtswissenschaftlicher Publikationen zu diesem Rahmenthema, von denen aber nur sehr wenige Ausmaß und Bedeutung sexueller Kontakte deutscher Soldaten in den besetzten Gebieten der Sowjetunion untersuchen. Vorliegende Neuerscheinung trägt dazu bei, die Lücke zu schließen; sie basiert auf der Dissertation der Historikerin Regina Mühlhäuser, die heute wissenschaftliche Mitarbeiterin in Reemtsmas Hamburger Stiftung zur Forderung von Wissenschaft und Kultur ist.
Sie weist nach, dass deutsche Truppenangehörige in der UdSSR (konkret: Estland, Lettland, Litauen, Ukraine, Weißrussland, Russland) sexuelle Verbrechen begingen - Frauen zu Opfern sexueller Folter machten und vergewaltigten; darüber hinaus betrachtet sie aber auch das gesamte Spektrum heterosexueller Aktivitäten von Wehrmachts- und SS-Angehörigen im Kontext der damaligen Vorstellungen von Männlichkeit und Sexualität, untersucht Kontakte mit „geheimen“ Prostituierten und in Militärbordellen, Sex gegen Schutz oder Lebensmittel sowie einvernehmliche Beziehungen, z. T. mit der Folge von Schwangerschaften und Heiratsgesuchen der Männer. Die Autorin begreift sexuelle Vorstellungen und Praktiken als Form von Macht / Wissen: Vergewaltigungen im Krieg z. B. sind einerseits brutaler Lustgewinn an wehrlosen Opfern, andererseits sollen sie den feindlichen Soldaten demonstrieren, dass sie ihre Frauen und Töchter nicht schützen können.

Die Publikation widerlegt die verbreitete Vorstellung, die deutsche Militärführung hätte angesichts der offiziellen nationalsozialistischen Ablehnung sexueller Kontakte deutscher Männer zu „fremdvölkischen“ Frauen vor den Hintergrund der NS-Ideologie sexuelle Aktivitäten von Soldaten in Osteuropa konsequent bestraft. Die Führungen von Wehrmacht und SS versuchten auch nicht, heterosexuelle Kontakte strikt zu unterbinden, denn die sexuelle Befriedigung galt als probates Mittel, um den Kampfeinsatz der Männer zu optimieren. Es gab jedoch institutionelle Bemühungen, die Sexualität der Soldaten zu kontrollieren: Insbesondere die Wehrmacht hielt ihre Soldaten zu sexueller Mäßigung an, verpflichtete sie zu hygienischer Vorsorge und errichtete Militärbordelle. Letztere begünstigten andererseits sexuelle Aktivitäten der Soldaten. NS-Behörden entwarfen auch Pläne zum Umgang mit Soldatenkindern. Anhand der Auswertung von zahlreichen Militärdokumenten, persönlichen Berichten und Interviews ergründet die Autorin das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Verhalten von Soldaten und den Reaktionen der NS-Militärführung.

Die vorliegenden Besprechungen diskutieren das Buch kontrovers: Sogar von einer „Wiederholung der Reemtsma-Ausstellung ‚Verbrechen der Wehrmacht’ in Klein“ ist die Rede mit ihrer Verallgemeinerung von „Einzeltaten“ – in Verkennung der Tatsache, dass es das Verdienst der überarbeiteten Fassung der Ausstellung mit dem plakativen Titel war, die Legende von der „sauberen Wehrmacht“ öffentlichkeitswirksam zu beenden, wobei sie „kein pauschales Urteil über eine ganze Generation ehemaliger Soldaten fällen“ wollte (Zitat aus dem Ausstellungskatalog von 1996), in Verkennung des ganz anderen Fokus der Neuerscheinung und der Einbeziehung ‚Einvernehmlicher Verhältnisse’. Angesichts dieses Kapitels geht auch am Titelbild (das keine sexuelle Gewalttat zeigt, sondern eher eine Zärtlichkeit) festgemachte Kritik ins Leere, denn es ist wohl dem Buchtitel „Eroberungen“ geschuldet. Vorliegende akribische (das gegliederte Literaturverzeichnis hat über 30 Seiten) Studie stellt das Phänomen sexueller Gewalt deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg systematisch, methodisch sicher und seriös dar, verzichtet auf moralisierende Kommentare und analysiert präzise am Einzelfall - dies spricht für sich und ist sehr ergiebig; so vermisst der Verfasser dieser Zeilen auch nicht die von anderen Rezensenten monierten fehlenden Synthesen, zumal gerade so die Gefahr, in die Nähe von Pauschalurteilen zu gelangen, vermieden wird. Es gelingt der Autorin, die Vielschichtigkeit des Zusammentreffens von Militär- und Zivilgesellschaft aufzuzeigen – vor allem aus der Sicht der Eroberer/Besatzer, also deutscher Soldaten, Militär- und Zivilbehörden. Sie bezieht auch die Perspektive der Frauen ein, was bei Gewaltopfern ergiebiger ist als im Kontext von Bordell- und einvernehmlichen Beziehungen, weil diese Betroffenen nach dem Krieg schweigen mussten, um in der Sowjetunion nicht in den Verdacht der Kollaboration zu geraten. Man mag Regina Mühlhäuser vorwerfen, das Thema zu wenig in den Kontext der Sexualität unter der Bedingung eines Eroberungsfeldzuges eingeordnet zu haben, muss ihr jedoch andere Schwerpunktsetzungen zugestehen.
Vorliegende Untersuchung erweitert und vertieft die bisherige Forschungsergebnisse zur sexuellen Politik von Wehrmacht und SS und fördert das Verständnis für die Verwobenheit von Männlichkeit, Gewalt und Sexualität in Kriegszeiten.

„Auch Deutschland hat sich noch nicht zu den Vergewaltigungen bekannt, die … Soldaten während des Krieges begangen haben. Dieses heikle Thema müsste anhand der Gerichtsurteile gegen Soldaten aufgearbeitet werden, die durchaus existieren. Es gab Rügen, Strafversetzungen, Verurteilungen. … Statt dessen prägt das Bild vom ‚frauenschändenden Iwan’ immer noch die Gedanken der älteren Generation. Trotz aller Greueltaten, die … Soldaten der Roten Armee ohne Frage begangen haben, als sie in Deutschland vorrückten: Die Deutschen haben den Krieg begonnen – auch den Krieg gegen die Frauen (Stefan Maiwald / Gerd Mischler: Sexualität unter den Hakenkreuz. München 2002. S. 156 f.).

Theo Emmer


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