Rambach Günther

Rambach, Günther: Die 50er Jahre in Amberg und der Oberpfalz: Politik. Militär. Alltagsleben. Eisenhütten, o. O. [Amberg], Selbstverlag, 2013, 296 S., gebunden, ISBN 978-3-00-042884-5, 24.80 € [zu beziehen über das Kontaktformular auf der Homepage des Autors: www.g-rambach.de, sowie bei ausgewählten Buchhändlern]

Drei Jahre nach „Hakenkreuz und Martinskirche. Schicksalsjahre in der Oberpfalz 1933 - 1959“ mit Fokus NS-Zeit (Restexemplare zu beziehen wie oben) hat der Amberger Historiker Günther Rambach eine Fortsetzung vorgelegt. Sie liefert eine umfassende regionale Sozial- und Alltagsgeschichte der 1950er Jahre, wobei er wie schon bei seinem Erstling überregionale Aspekte in kritischer Betrachtung skizziert und den Zeitrahmen sprengt, wo es zum Verständnis notwendig ist, Vorgeschichte und Auswirkungen aufzuzeigen; er arbeitet neueste Forschungsergebnisse ein und ergänzt sie durch autobiografische Erinnerungen. Trotz der vielfältigen Untersuchungsaspekte ist der bunte Bilderbogen auch für einen größeren Kreis außerhalb der Expertenszene, auch für Jugendliche, leicht lesbar, da der Autor den Stil einer wissenschaftlich fundierten „Geschichtserzählung“ favorisiert.

Rambachs Ausgangsthese, dass die 1950er Jahre nicht nur Licht- (Wirtschaftswunder!), sondern auch Schattenseiten hatten, wird im Folgenden bestätigt. Aus den regelmäßigen Monatsberichten der Polizei in Amberg ergibt sich, dass die Bevölkerung, anders als die hohe Beteiligung bei den ersten Bundestagswahlen 1949 vermuten lässt, im Alltag eher politikverdrossen war. Der Koreakrieg ab 1950 erweckte Ängste vor der Ausbreitung des Kommunismus, ja vor einem „Dritten Weltkrieg“ (Hamsterkäufe!), leistete einem scharfer Antikommunismus einerseits und einer Verdrängung der NS-Vergangenheit andererseits Vorschub, wandelte die große Skepsis gegenüber einer deutschen Wiederbewaffnung allgemein und der Stationierung von Bundeswehr im Raum Amberg im Besonderen zur Akzeptanz. Das Verhältnis der Einheimischen zu den US-Besatzungstruppen (später NATO-Partner) aber war bis über die Mitte der 1950er Jahre hinaus angespannt, wie der Autor an mehreren Beispielen anschaulich zeigt; für Buben wie damals ihn war das bis dahin Unbekannte allerdings spannend. Als der Flüchtlingsstrom aus der DDR 1953 auch den Raum Amberg ein wenig tangierte, reagierte man in der Bevölkerung eher panisch in Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse.

Die Überschrift „Eine Kindheit in Amberg“ (S. 73) steht „leitmotivisch“ am Anfang mehrerer zusammengehörender Kapitel. Hier betrachtet Rambach u. a. den Erziehungsstil seiner alleinerziehenden („Heldentod“ des Vaters 1944!) Mutter und seine Prägung durch die katholische Kirche (in die er gewissermaßen als Preis für eine Mischehe seiner Eltern kam) kritisch; ein Foto seines Vaters in SS-Uniform (Laut Band 1 hatte er sich 1933 als 18-jähriger Musikbegeisterter den Spielmannszügen von SA und SS angeschlossen.) und das Schweigen der Angehörigen war ihm entscheidender Impuls: „So begann für mich die Zeit, in der ich versuchte, die Vergangenheit der eigenen Familie zu erforschen“ (S. 96). Nachdenklich stimmt die Geschichte des Gründerzeitschranks, der nach vielen Besitzerwechseln heute das Esszimmer des Autors ziert: Er hatte bis zur „Arisierung“ / Enteignung 1938 einem jüdischen Banker in Amberg gehört …). Wenn der Verfasser seine Volksschulzeit ab September 1949 nacherlebt, skizziert er u. a. die Schulgeschichte Ambergs, betrachtet den damaligen Schulalltag kritisch, berichtet von gesundheitlichen Spätfolgen der „schlechten Zeit“ und dem mangels familiärer Unterstützung nicht erfolgten Übertritt ans Gymnasium.
Im Folgenden problematisiert der Verfasser die „,Vergangenheitsbewältigung´ in den 50er Jahren“ (S. 121): Entnazifizierung, Verschweigen, SRP-Verbot, Gefallenengedenken, eigene Konfrontation mit dem Ausmaß der NS-Gräueltaten. Dass in Amberg (das austauschbar ist) in dieser Zeit eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eher vermieden wurde und politisches Bewusstsein fehlte, zeigt z. B. die Wahl des leutseligen Josef Filbig zum OB 1952. Dieser hatte sich als überzeugter Nazi gegebenen und war 1933 vom NSDAP-Stadtrat als ehrenamtlicher OB eingesetzt worden. 1948 hatte ihn eine Spruchkammer in die zweithöchste Kategorie eines „Belasteten“ eingestuft, auf dem Berufungs- und Gnadenwege hatte er letztlich eine Einstufung als „Mitläufer“ (!) erreicht, und einer zweiten politischen Karriere stand nichts mehr im Wege. 1952 - 58 war Filbig parteiloser OB, aufgestellt aber hatte ihn eine rechtsextreme Splitterpartei. Rambach konstatiert, dass „sich nichts Negatives sagen lässt“ (S. 153) gegen seine Amtsführung, er weist jedoch nach, dass in Reden „Von einer kritischen Distanz zur Hitlerdiktatur und zu Hitlers verbrecherischem Angriffskrieg … nichts zu spüren“ war (S. 154), und deutet das als „Einblick in das politische Denken der 50er Jahre“ (S. 153).

Die folgenden Kapitel spiegeln das „Leben in den 50er Jahren“ (S. 156) als Politisches ausklammernde Form der Vergangenheitsbewältigung durch Konsum (Nachholbedarf!) nach den Motto „Es geht aufwärts!“ (S. 179): „Fresswelle“, Mode, Wohnungseinrichtung, Kurzreisen, Geschäfte (mit lokalen Beispielen), Fußballweltmeisterschaft 1954, Feiern, Kühlschrank, UKW, Beginn des Fernsehens, Tourenrad, Photoapparat, Versandhäuser, Kino, Theater, „Vom Kleinstwagen zum richtigen Auto“ (S. 196) …, wobei der Autor nach Möglichkeit seine damalige Kindersicht nachzeichnet, aber auch kritisch reflektiert.
1957 schloss Rambach die Volksschule ab und trat - damals die einzige Möglichkeit nach acht Jahren (Abitur auf dem zweiten Bildungsweg - Studium - Gymnasiallehrer - das war ihm erst viel später möglich!) - eine dreieinhalbjährige Lehre als Starkstromelektriker in der Luitpoldhütte an, einem der zwei Amberger Großbetriebe, die im Zuge des Wirtschaftswunders boomte. An einem Tag in der Woche war Berufsschule, ebenfalls in Amberg. Trotz mancher Härten gefiel ihm der abwechslungsreiche Arbeitsalltag, der ihm auch einen Einblick in den Eisenbergbau brachte. Der Verfasser liefert an dieser Stelle wertvolle Beiträge zur Industriegeschichte Amberg sowie in einer Art Exkurs der oberpfälzischen Eisenhütten Maxhütte, Bodenwöhr, Weiherhammer und des Pumpspeicher-Kraftwerks bei Trausnitz. Als Lehrling verbesserte sich sein Lebensstandard: erstes eigenes Zimmer in einer neuen, größeren Wohnung der Kleinstfamilie, Moped ... 1961 legte er die Facharbeiterprüfung mit sehr guten Noten ab.

Rambach schließt sein Werk mit der Ende der 1950er von Adenauer grundgelegten deutsch-französischen Verständigung - von der Bevölkerung mehrheitlich begrüßt - und stellt einen persönlichen Bezug zur späteren Städtepartnerschaft Amberg - Périgueux her. Ob sich an dieser Stelle das Vorhaben eines (weiteren) Folgebandes zeigt?
Das Buch basiert auf jahrelanger akribischer Recherchearbeit in mehreren Archiven, alten Zeitungen/Zeitschriften und der wissenschaftlichen Literatur, mehr als 500 Feldpostbriefe wurden ausgewertet. 347 Anmerkungen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis belegen das. Besondere Erwähnung verdienen die zahlreichen, qualitativ hochwertigen Abbildungen, die vielfach dem Privatarchiv des Verfassers entstammen – eine reiche Fundgrube bisher unveröffentlichten Materials für den Geschichte/Sozialkunde-Unterricht vor allem in der 11. Jahrgangsstufe Gymnasium.

Theo Emmer


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