Schweiggert Alfons

Der Mann, der mit Ludwig II. starb: Dr. Bernhard von Gudden, der Gutachter des bayerischen Königs,
Husum, 2014, 224 S., Bildteil S. 113-120, diff. Literaturverzeichnis, 16,95 €
ISBN 978-3-89876-723-1

Der Zufallsfund der Totenmaske Dr. Bernhard von Guddens (1999) regte den Leiter des Städtischen Museums Rosenheim, Walter Leicht an, sich 2011 an Alfons Schweiggert (*1947) zu wenden, der sich in den Jahren 1995 bis 2012 einen Namen als Fachmann zur Biographie König Ludwigs II. von Bayern gemacht hatte. Als Kurator der Ausstellung im Maierhof des Klosters Benediktbeuren (15. Mai bis 17. Juli 2014) hat Alfons Schweiggert den vorliegenden, brillianten Buchkatalog verfasst.

Die Totenmaske von Guddens steht im Zentrum der museumsdidaktisch akribisch vorbereiteten Prä sentation von 80 Bildtafeln, ergänzt durch Einzelobjekte aus dem Leben des Arztes sowie einer filmischen Dokumentation, die hilft, Leben und Wirken des 1824 in Kleve (Niederrhein) geborenen und mit König Ludwig II. im Starnberger See am 13. Juni 1886 zu Tode gekommenen, für seine Zeit fortschrittlichen Fachvertreters der Psychiatrie als „Neuroanatom“ nachzuzeichnen.

Band und Ausstellung beschränken die Persönlichkeit nicht auf die „sechs Tage“ im Juni 1886, an denen sich die Meinungsbild bisher erheblich widersprochen hat und gelegentlich zur „Totalverurteilung“ des Arztes führte. In der wohl überlegten Anlage des Buchkatalogs berücksichtigt Alfons Schweiggert die Lebensstationen und fünf Rollen des Dr. Bernhard von Gudden auf: Konsens besteht danach heute im Hinblick auf seine Orientierung am wissenschaftlichen Fortschritt seiner Disziplin, seiner Gewisenhaftigkeit als Lehrer, Forscher und humaner Anstaltsleiter. Der Autor stellt auch Positiv- und Negativbewertungen gegenüber (Übersicht S. 28) und lässt auch zeitgenössische Kritiker wie Emil Kraepelin oder Oskar Panizza zu Wort kommen. Umstritten bleibt von Guddens
Gutachtertätigkeit und seine Verwicklung in die Entmündigung des bayerischen Königs: das sehr kurzfristig erstellte „Ärztliche Gutachten über den Geisteszustand S.M. König Ludwigs II. von Bayern“ vom 8. Juni 1886 trägt weitere Unterschriften von Dr. Friedrich Wilhelm Hagen (Erlangen), Dr. Max Hubrich (Werneck) und Dr. Hubert Grashey (Würzburg). Ihr Fazit: „Seelengestört, geisteskrank, leidet unter unheilbarer Paranoia und sei deshalb auf Dauer regierungsunfähig“ (Anhang, S. 196-207). In den Text flossen Auffälligkeiten im Verhalten Ludwigs II. ein, die Dr. Bernhard von Gudden seit 1874 registriert habe, weshalb Fachleute in der Dt. Medizinischen Wochenschrift 132, 2007 zu der Bewertung kommen, dass es sich beim Guddenschen Gutachten „nicht um eine Gefälligkeitsdiagnose aus Gründen der Staatsräson oder aus Willfährigkeit gegenüber etwaigen Wünschen der Minister“ (handelte), andererseits erwähnt der Autor auch die Zweifel der Gutachter, als Ludwig II. auf Schloß Berg interniert war, wo er sich „relativ normal“ verhalten habe, „eben wie ein Kind, harmlos und liebenswürdig“ - „verlässliche Erkenntnisse“ so von Gudden an Ministerpräsident Johann Frhr. von Lutz in einem Telegramm vom 13. Juni 1886 – könnten erst aus einer Langzeitbeobachtung erbracht werden. Was kurz darauf zur Katastrophe beim Spaziergang am Starnberger See führte, erscheint in den Aussagen der drei Nervenärzte vor dem Landtag (Anhörungstermin vom 21. bis 26. Juni 1886) widersprüchlich: Trotz Zweifeln an der Schwere der Erkrankung und deren Unheilbarkeit bleiben Hagen, Hubrich und Crashey bei ihrer Unterschrift – aus Selbstschutz, zum Erhalt der fachlichen Reputation? Aus der Distanz zum Gutachten und zu den Geschehnissen in Berg vor 128 Jahren zeugt es von Mut des Autors und Ausstellungskurators, an dieser Stelle einen Blick auf ärztliche Fehldiagnosen früher und heute zu werfen (Übersicht der Vorwürfe gegen von Gudden und fachliche Gegenargumente, S. 131-133), ergänzt durch Klärungsversuche in neun Thesen zum Tod des Nervenarztes. Enträtselt wird auch das Entstehen und Wiederauffinden der Totenmaske Dr. Bernhard von Guddens – und im Sinne der Chronistenpflicht werden auch Tod, Bestattung, letzte Ruhestätte und Nachrufe behandelt. Den „Phasen der Verteufelung“ dieses Mannes und der „Nachwirkung“ seiner Gutachtertätigkeit gelten die Schlusskapitel, abgerundet von Prof. Dr. Hans Fröstls (TU München) Würdigung von Guddens als Schrittmacher der modernen Psychiatrie.

Willi Eisele
Wolfratshausen


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