6. Regensburger Kontaktstudium

06. Juli 2006

Thema: "Geschichtsunterricht und Amerikastudien"

40 Geschichts-/Sozialkundelehrer oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien und Berufs-/ Fachoberschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und des Lehrstuhls für Amerikanistik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband, vertreten durch den Bezirksfachgruppenleiter Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband, dem U.S. Generalkonsulat München und der Bayerischen Amerika-Akademie das sechste Regensburger Kontaktstudium ausrichteten. Bedauerlicherweise hatten die FachkollegInnen der Realschulen aus dem Einzugsbereich der Universität Regensburg nicht die Gelegenheit erhalten teilzunehmen, und hatte Prof. Dr. Helmut Beilner, der bisherige Leiter der Tagungsreihe, dessen Verabschiedung geplant war, kurzfristig abgesagt.

In ihren Eröffnungsansprachen gingen der Rektor der Universität Regensburg, Prof. Dr. Alf Zimmer, der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in der Oberpfalz, Ltd. OStD Günther Trüb, OStR Emmer als Verbandsvertreter und der Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Udo Hebel auf die wesentlichen Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung zum Thema „Geschichtsunterricht und Amerikastudien: Positionen, Perspektiven, Fallstudien“ ein. An Bedeutung gewinnen Querverbindungen zwischen und Verschränkungen von Schule und Universität, aber auch von Fächern und Forschungsgebieten (in den Schulen etwa bei Projektunterricht oder Themen wie Globalisierung oder Migration),. Amerikastudien sind multidisziplinär angelegt, die Amerikanistik begreift sich in Regensburg als kulturwissenschaftliches Fach, das eng kooperiert z. B. mit der Politikwissenschaft. Besonders für Geschichts-/Sozialkundelehrer ist es dringend nötig, durch entsprechende Fortbildungen zu einem fundierten Verständnis der USA zu kommen, um verbreitete Fehlinformationen, Missverständnisse und Vorurteile abzubauen. In diesem Zusammenhang nannte OStR Emmer die immer noch stark deutschland-/europa-zentrierte Ausrichtung der Geschichts-/Sozialkundelehrpläne nicht mehr zeitgemäß.

Prof. Dr. Volker Depkat schuf in seinem Vortrag „Positionen, Ansätze und Themen der gegenwärtigen amerikanistischen Geschichtswissenschaft und Kulturgeschichte“ die theoretische Basis für die aufeinander aufbauenden Tagungsbeiträge. Als Kritik an sozialgeschichtlichen Denkweisen entfalte sich eine kulturgeschichtliche Wende in der Geschichtswissenschaft: Natürliche Umwelten und räumliche Bedingungen prägen die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Geschichte einer Region nachhaltig; soziale Gruppen produzieren, indem sie sich handelnd zu ihren Umwelten in Beziehung setzen, wieder Räume, die spezifisch und konstitutiv für die Geschichte einer Gesellschaft sind; eine transnationale Historiographie ist erforderlich, etwa bei Phänomenen wie Borderlands oder Migration.

„Amerikanische Geschichte und Erinnerungspolitik in den Denkmälern und Museen der National Mall in Washington, D. C.“ präsentierte Dr. Ingrid Gessner. Das bauliche Ensemble im Zentrum der US-Hauptstadt bündelt die Kulturgeschichte der Nation, ist in die politische Konzeption (Kapitol und Weißes Haus) eingebettet, weist eine geschichtliche Dimension auf und stellt eine symbolische Landschaft dar. Exemplarisch wurden folgende Denkmäler näher vorgestellt: Vietnam Veterans Memorial, Marine Corps oder Iwo Jima Memorial, Korean War Memorial, National World War II Memorial und National Japanese American Memorial to Patriotism during World War II. Als Beispiel für die Museen auf der National Mall diente das National Museum of American History mit seinen Ausstellungen „A More Perfect Union: Japanese Americans and the U.S. Constitution“ (amerikanisierte Fassung der Einwanderergeschichte) und „The Price of Freedom: Americans at War“ (vom Unabhängigkeitskrieg bis heute, nach dem 11. September konzipiert, patriotisch).

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stephan Bierling analysierte die „Deutsch-amerikanischen Beziehungen: Geschichte, gegenwärtiger Stand, Ausblick“. Danach werde der tiefe Graben zwischen Kontinental-Westeuropa und den USA trotz aktueller Bestrebungen, etwa eine neue Freundschaft Bush – Merkel zu entwickeln, nicht überwunden werden können. Prof. Bierling verdeutlichte insbesondere folgende Disparitäten: im geostrategisch-sicherheitspolitischen Bereich (im Kalten Krieg Deckung amerikanischer Global- und europäischer Regionalinteressen – heute Überzeugung in unterschiedlichen Sicherheitswelten zu leben, weshalb z. B. die Legitimation von Militäreinsätzen anders gesehen wird), in den Kultur-/Werteformen (etwa Einstellungen zu Todesstrafe, Umweltschutz, Gentechnik, Multilateralität, Rolle der Religion im Alltag, Patriotismus), die Wirtschaftsinteressen betreffend (EU-Bürger 1950 doppelt so viel wie US-Bürger, 2030 Gleichstand, 2050 fast ein Drittel weniger; Europäer werden für USA ökonomisch relativ uninteressanter werden). Es sei dringend geboten, die Lust an der verbalen Beschädigung der jeweils anderen Seite ab- und Kooperationsfelder wie Friedensmissionen mehr in den Mittelpunkt zu stellen.

Dr. Andrew Denison, Direktor des Wissenschaftlerkonsortiums Transatlantic Networks (Königswinter), referierte über die „US-Außenpolitik und ihre Rolle in den Midterm Elections“. Aus der Sicht eines Atlantikers - gebürtiger US-Amerikaner , aber seit 15 Jahren in Deutschland lebend - arbeitete er heraus, dass trotz wechselseitiger Vorurteile folgendes Faktum Konsens ist: „Wir leben in einer Welt der Hoffnungen und des Schreckens.“ In den USA ist es nicht allein Sache des Präsidenten, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Die Verfassung hat nach dem Grundsatz „checks and balances“ eine starke Legislative (Kongress: Senat und Repräsentantenhaus) geschaffen, und auch das oberste Verfassungsgericht (Supreme Court) kann der Exekutive Grenzen setzen. Der Kongress kenne die Stimmungen im Volk genau. Ein gutes Abschneiden der Republikaner bei den Zwischenwahlen im Herbst bedeute eine Bestätigung der Politik der Bush-Regierung; würden die Demokraten gewinnen, wären von Bush wohl keine neuen außenpolitischen Initiativen zu erwarten.

„Ethnizität und Multikulturalismus: Amerikanische Politik und Kulturgeschichte am Beispiel der Native Americans“ lautete das Thema des Beitrags von Dr. Karsten Fitz. Mythen und deutsche Fehlkonzeptionen - von der „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus über Karl May und Lederstrumpf bis hin zu (Hollywood-) Filmen - sind prägend. Schon vor dem Kulturkontakt mit dem Westen gab es in den diversen Kulturgebieten entwickelte Kulturen der Native Americans. Als Fallstudie stellte Dr. Fitz die Geschichte der Cherokee vom ersten Kontakt mit den spanischen Eroberer 1540 über die erste Landabtretung 1721 bis hin zu brutalen Zwangsumsiedlungen nach 1830 vor. Ein Ausblick bis in die Gegenwart zeigte u. a. auf, dass 1934 im Zuge des „Indian New Deal“ das Reservatsystem beendet wurde, 1969 in einer ersten panindianischen Aktion als Ausdruck eines Bürgerrechtsprotests die Gefängnisinsel Alcatraz besetzt wurde und Stämme ab 1975 mehr Freiheiten erhielten, aber die Anerkennungspolitik der US-Regierung sehr restriktiv ist. Die ca. 3 Millionen Native Americans fühlen sich jedoch heute trotz kultureller Traditionen als US-Bürger und tragen auch die US-Flagge.

Von Prof. Dr. Udo Hebel wurde „Amerikanische Geschichte in Bildern: Historische Momente und ihre Visualisierung von Kolumbus bis 9/11“ präsentiert. Zunächst stellte Prof. Hebel fachwissenschaftliche Kontexte her (Amerikastudien als Kulturgeschichte, Bilderauswertung bezüglich der politisch-kulturellen Aussage ohne Bewertung der ästhetischen Qualität, Erinnerungskultur, Populärkultur), wichtige Theorieansätze vor und warf spezifische Fragestellungen auf. Dann zeigte und analysierte er exemplarische Bilder aus verschiedenen Epochen von der Ankunft der Europäer in der „Neuen Welt“ ab ca. 1500 und Gründungsmomenten um 1800 über mythische Momente, die Great Rotunda im Kapitol als nationalem Ausstellungsraum, Krisen- / Oppositionsmomente bis hin zu Bilderrepertoires, die bewusst zweckgerichtet eingesetzt werden können (wie z. B. das Bild von Präsident Bush, der 2003 US-Soldaten im Irak zu Thanksgiving einen Truthahn servierte).
Im Namen der bayerischen Geschichts-/Sozialkundelehrer dankte OStR Emmer den Veranstaltern, der zuständigen MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz, der Universität Regensburg und insbesondere Prof. Hebel, vor allem auch für das umfangreiche zur Verfügung gestellte Material.

Theo Emmer


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