8. Regensburger Kontaktstudium

20. November 2009

Thema: » Die amerikanische Demokratie. Geschichte und Struktur des U.S.-Regierungssystems«

60 Geschichts-/Sozialkundelehrer oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/ Fachoberschulen und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus und des Instituts für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Regensburg, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Geschichtslehrerverband, vertreten durch den Bezirksfachgruppenleiter Geschichte/Sozialkunde Oberpfalz im Bayerischen Philologenverband, und der Bayerischen Amerika-Akademie das achte Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.

In ihren Eröffnungsansprachen gingen der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in der Oberpfalz, Ltd. OStD Paul Lippert, OStR Emmer als Verbandsvertreter und der wissenschaftliche Leiter Prof. Dr. Volker Depkat (Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg) auf die wesentlichen Anliegen dieser Fortbildungsveranstaltung zum Thema »Die amerikanische Demokratie. Geschichte und Struktur des U.S.-Regierungssystems« ein.

In seinem Vortrag »Die Amerikanische Revolution und die Begründung der U.S.-Demokratie« definierte Prof. Dr. Depkat die Amerikanische Revolution als erste moderne Revolution, stellte die Entwicklung der kolonialen Argumentation von den »Rights of Englishmen« zu den »Rights of Man« dar, die 1776 in der Unabhängigkeitserklärung ihren Höhepunkt fand, und ging auf die Gründung des föderalen Bundesstaates als Revolution in der Revolution ein, wobei die Verfassungsgebung, die über die »Articles of Confederation« (1777/81) in die Verfassung von 1787 mündete, als Absicherung der Revolution und Institutionalisierung der Prinzipien von 1776 bewertet wurde.

»Das amerikanische Wahlsystem am Beispiel der Präsidentschaftswahlen 2008« beleuchtete Prof. Dr. Stephan Bierling (Professor für Internationale Politik mit Schwerpunkt Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg). Während die Wahlberechtigten in Deutschland von Amts wegen in Wählerverzeichnissen vermerkt sind, müssen sich in den USA die Wähler registrieren lassen. Auch die hohen und zum Großteil von Privatleuten finanzierten Wahlkampfkosten unterscheiden die amerikanische von deutschen Wahlen. Bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen gingen rund zehn Prozent weniger zur Wahlurne als bei der Bundestagswahl 2009, dafür gibt es in »den Staaten« eine Vielzahl plebiszitärer Elemente auf regionaler oder bundesstaatlicher Ebene. Das Datum des Wahltages, der erste Dienstag nach dem ersten Montag im November, lässt sich historisch erklären aus der agrarwirtschaftlichen Tradition und den schwierigen Reiseverhältnissen im Amerika des 18. Jahrhunderts. Abschließend stellte Prof. Bierling eine der Lochkarten-Wahlmaschinen vor, die während der Präsidentschaftswahl 2000 für einen nationalen Skandal gesorgt hatte.

Prof. Dr. Karsten Fitz (Professor für Amerikanistik an der Universität Passau) beleuchtete in seinem Vortrag »Die visuelle Kultur der Amerikanischen Demokratie« verschiedene Aspekte der Inszenierung amerikanischer Zivilregion am Beispiel der visuellen Repräsentationen von George Washington und Barack Obama. Nach George Washington, »Urmodell« des »republican citizen«, kam Obamas Verhältnis zur visuellen Kultur der US-Demokratie allgemein und speziell zu seinen drei präsidialen Vorbildern Abraham Lincoln, Franklin D. Roosevelt und John F. Kennedy zur Sprache. Der Bezug auf Obamas Medieninszenierungen ermöglicht es, die Schüler in der Gegenwart »abzuholen« und davon ausgehend mit ihnen tiefer in die Analyse der amerikanischen Zivilreligion vorzudringen; Aspekte dabei sind z. B. die Ideen der Zivilreligion und des Gesellschaftsvertrages und ihre Umsetzung in der National Mall in Washington, D.C. oder zentrale Texte wie Abraham Lincolns Gettysburg Address. Der Vergleich zwischen Bildern Obamas mit denen seiner drei wichtigsten Vorbilder bietet sich dagegen nicht nur für Rückschlüsse auf Obamas Selbstverständnis an, sondern auch für eine Diskussion über die Entstehung und den zeitlichen Wandel solcher Inszenierungen, wie gerade im Gegensatz zwischen Kennedys fragiler Gesundheit und seinem jugendlichen »Image« oder der hauptsächlich durch die Medien hergestellten Analogie Obamas - Roosevelt ersichtlich wird.
Eva Maria Viertlböcks Workshop »Textdokumente zur Amerikanischen Revolution« befasste sich mit der quellenkundlichen Analyse von Texten nach Schlüsselfragen. Im Bericht über die Stamp Act Riots in Boston wurden Aspekte wie die Loyalität des Autors General Francis Bernard zur britischen Krone, die zentral wichtige Rolle der amerikanischen Zeitungen, aber auch die Unentschlossenheit im Umgang mit Protesten auf Seiten der in ihrer Loyalität ohnehin bröckelnden Exekutive deutlich. Die Dokumente »Declaration of the Stamp Act Congress« und »Declaration of Independence« veranschaulichten den argumentativen Wandel in den Unabhängigkeitsbestrebungen: Während die an das britische Parlament adressierte erste Quelle noch keine grundsätzlichen Zweifel am Kolonialsystem äußerte, versuchte sie dennoch mit der Berufung auf die »Rights of Englishmen« und dem Anspruch »No taxation without representation!« die Rücknahme der als ungerecht empfundenen Stamp Acts zu erreichen. Im Gegensatz zu dieser eher rückwärts gewandten Argumentation ist die an die gesamte Weltöffentlichkeit gerichtete »Declaration of Independence« mit ihrem Bezug auf die Naturrechte und den Gleichheitsgrundsatz konsequent nach vorne gewandt ? und damit in Richtung der völligen Ablösung von der Kolonialmacht England. Das Dokument »Toasts to the New Nation« zum einjährigen Unabhängigkeitsfeiertag feiert die demokratischen Prinzipien, zeugt jedoch in seiner Verehrung des Militärs unter der Führung von General Washington auch davon, dass eben diese Prinzipien gegen den als Tyrannen dargestellten britischen König erst noch zu verteidigen sind.

Um neue Perspektiven durch visuelle Herangehensweisen in der amerikanischen Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaft ging es in Klara Stephanie Szlezáks Workshop »Einwanderung und Identität in der U.S.-Demokratie: Untersuchungen zur Bildrhetorik in Photographien des frühen 20. Jahrhunderts«. Zunächst wurden der visual turn und die Grundlagen der Bildtheorie mit besondere Bezugnahme auf Entwicklung und Methodik dargestellt. Nicht nur Texte, sondern auch Bilder sind narrativ, intentional und bewusst kodiert und können als Kommunikationsmittel und Untersuchungsgrundlage dienen. Das trifft besonders auf die amerikanische Einwanderungsgeschichte um 1900 zu. Das Bild »Climbing into America - Ellis Island« (1905) von Lewis W. Hine etwa verbreitet die zentrale Ideologie des »American Dream«. Hingegen betont »Cossack immigrants« (ca. 1905) von Augut F. Shermann das Fremde und Exotische, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl mit Faszination als auch mit Abneigung verbunden sein konnte.

Auf der Basis ausgewählter Quellen erörterte Prof. Dr. Volker Depkat im Workshop »Demokratischer Internationalismus in der Außenpolitik der USA im 20. Jahrhundert« den »Demokratischen Internationalismus« als programmatischen Leitbegriff für die amerikanische Außenpolitik des 20. und 21. Jahrhunderts. Demnach begriffen es die USA über alle Zäsuren hinweg als ihre Aufgabe, eine aktive, interventionistische Politik zum Schutz und zur Verbreitung von Demokratie überall in der Welt zu verfolgen. Dem demokratischen Internationalismus liegen folgende Prämissen zugrunde: Erstens werden Demokratien als inhärent friedlich verstanden; dabei gelten Demokratien als die zuverlässigeren Verhandlungspartner im außenpolitischen Bereich, da sie als allgemein kompromissbereit empfunden werden. Zweitens werden Demokratie und freie Marktwirtschaft eng verknüpft; letztere wird als Stütze und Sicherung der Demokratie gesehen. Drittens wird im Konzept des demokratischen Internationalismus die industriell-moderne Welt als interdependente wahrgenommen, in der es keinerlei geographisch definierte Sicherheit für die USA mehr geben kann. Viertens stellen Demokratien eine Wertgemeinschaft dar, denen ein gemeinsamer Wertekanon, mit dem Hauptziel, die Demokratie als solche zu erhalten, zugrunde liegt. Die letzte Prämisse bildet die Ideologie «Wilsonianism«, die die USA als einen Teil in der multilateralen Zusammenarbeit integriert.
In seinem Abschlussvortrag beschäftigte sich Prof. Dr. Hartmut Keil (emeritierter Professor für amerikanische Kultur und Geschichte an der Universität Leipzig) mit der »Präsidentschaft Barack Obamas und den Traditionen des Rassismus in den USA«. Die Präsidentschaft Obamas löste weltweit eine Euphorie aus, die in der Verleihung des Friedensnobelpreises Ende 2009 ihren Höhepunkt fand. Dennoch ist diese anfänglich übersteigerte Euphorie nach einem Jahr »afroamerikanischer« Präsidentschaft in Ernüchterung umgeschlagen, was zum einen an den enttäuschten Erwartungen bezüglich Guantanamos und zum anderen an der Verteufelung der beabsichtigten Einführung der Krankenversicherung als »nationalsozialistisch« und »kommunistisch« liegt. Nichtsdestotrotz stellt die Präsidentschaft des dunkelhäutigen Obama ein Meilenstein in der Beendigung der Tradition des Rassismus in den USA dar. Dieser Präsident profitiert maßgeblich von den Erfolgen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die unter anderem auf die Aktivitäten der »National Association for the Advancement of Colored People« und »National Urban League« zurückzuführen sind und zur politischen Partizipation der Afroamerikaner geführt hat. Dabei muss Obama allerdings als neuer Typ afroamerikanischer Politik verstanden werden, da er zwar einerseits über die familiären Wurzeln an der schwarzen Tradition als Geschichte der Unterdrückung teilnimmt, andererseits aber der Opferrolle der Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft den Rücken zuwendet und keine dezidiert »schwarze« Interessenspolitik verfolgt.

Im Namen der bayerischen Geschichts-/Sozialkundelehrer dankte OStR Emmer den Veranstaltern, der zuständigen MB-Dienststelle für die Gymnasien in der Oberpfalz, der Universität Regensburg und insbesondere Prof. Depkat, vor allem auch für das umfangreiche zur Verfügung gestellte Material.

Theo Emmer


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