16. Regensburger Kontaktstudium
Prof. Dr. Volker Depkat bei seinem Einführungsvortrag
16. Regensburger Kontaktstudium für Geschichts-/SozialkundelehrerInnen
„Globalisierung in historischer Perspektive“
Rund 90 Geschichts-/SozialkundelehrerInnen vorwiegend oberpfälzischer und niederbayerischer Gymnasien, Berufs-/Fachober- und Realschulen folgten der Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und der Universität Regensburg, die in Kooperation mit dem Regensburg European American Forum (REAF) sowie dem Bayerischen Geschichtslehrerverband (BGLV) und der Landesfachgruppe Geschichte/Sozialkunde im Bayerischen Philologenverband (bpv) das 16. Regensburger Kontaktstudium ausrichteten.
In ihren Eröffnungsansprachen führten Prof. Dr. Volker Depkat, wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltung, Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg und Dekan der Fakultät für Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften, sowie Ltd. OStD Franz X. Huber, Ministerialbeauftragter für die Gymnasien in der Oberpfalz, in das übergeordnete Thema der Veranstaltung „Globalisierung in historischer Perspektive“ ein und betonten dabei Bedeutung und wesentliche Anliegen dieses Fortbildungsangebots. Prof. Depkat verwies darüber hinaus auf das historische Datum: 50-jähriges Jubiläum des Lehrbetriebs an der Universität Regensburg, welche für viele der anwesenden LehrerInnen zentrale Ausbildungsstätte war. StD Theo Emmer (BGLV und bpv) freute sich über die interdisziplinäre Referentenauswahl sowie über den regierungsbezirks- und schulartenübergreifenden Teilnehmerkreis und dankte den Veranstaltern, insbesondere Prof. Depkat und den Referenten für ihr Engagement sowie StD Albert Freier von der MB-Dienststelle für die große Unterstützung.
In seinem Einführungsvortrag „Die Erfindung der Globalisierung“ referierte Prof. Dr. Olaf Bach (Historiker und Wirtschaftswissenschaftler an der Kunsthochschule Berlin und der Universität St. Gallen) über die äußerst differenzierten Begriffsgeschichte der Globalisierung bzw. des Globalisierungsdiskurses in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welche er anschließend anhand konkreter struktureller Veränderungen darstellte.
Unter anderem führte er die Entwicklung des Diskurses von einer Globalisierung der Politik (50er/60er Jahre) zur Globalisierung der Wirtschaft (70er/80er Jahre) an. Während der Begriff zunächst hauptsächlich im politischen Kontext einer Globalisierung/Universalisierung des Nationalstaats oder globalization of international politics auftauchte, rückte er ab den 70ern immer stärker in den Vordergrund im Kontext des Diskurses grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit – der aufkommenden multinational corporations, der globalization of markets sowie der financial revolution. Damit einhergehend veränderten sich auch die Handlungsräume mit der Ablösung der Nationalstaaten durch die sogenannten world manager als zentrale Akteure.
Darüber hinaus lasse sich im Diskurs auch eine Veränderung hinsichtlich der Globalisierung als utopisches Projekt zum tatsächlichen Prozess feststellen. Anfangs seien in den Begriff vor allem Zukunftserwartungen (als Teil einer allgemeinen Fortschritts- und Modernisierungsthese) eingeschrieben gewesen, welche zunehmend durch Erfahrungen überschrieben wurden - Globalisierung stellte sich immer mehr als Tatsache bzw. Zwang dar.
Abschließend diskutierte Prof. Bach die zwei Temporalitäten des Globalisierungsbegriffs. Einerseits könne dieser gesehen werden als Begriff, der ein neues Kapitel in der Fortschrittsgeschichte bezeichnet, das sogenannte Zeitalter der Globalisierung oder eine neue Stufe der Moderne. Andererseits bezeichne der Begriff auch einen gegenwärtigen, aber noch unvollendeten Prozess, welcher gleichzeitig mit einer gewissen Ungeschichtlichkeit der Globalisierungsrede verbunden sei. Der Globalisierungsdiskurs schaffe sich seine Traditionen selbst, indem damit zum Beispiel auch die Frühe Neuzeit oder das 19. Jahrhundert beschrieben werden.
Prof. Dr. Susanne Lachenicht bei ihrem Vortrag
Prof. Dr. Susanne Lachenicht (Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bayreuth) hielt einen Vortrag zum Thema „Globalisierung aus Perspektive der Frühen Neuzeit“ und stellte zwei Kernelemente ihrer Forschung heraus: Anhand der beiden Fragen Gab es Globalisierung in der Frühen Neuzeit? und Was bedeutete sie zu dieser Zeit? analysiert sie das Thema von der Frühen Neuzeit her und nicht rückwärtsgerichtet aus der Gegenwart.
Prof. Lachenicht ging zuerst auf den Begriff der Globalisierung ein. Entgegen der populären Verwendung für Nivellierung kultureller Unterschiede versteht sie darunter Vernetzung, Austausch und Migration als wiederkehrende Phänomene. Strukturmerkmale sind dabei Expansion, Kolonialismus und Imperialismus, die Ströme von Menschen, Waren und Ideen bedingen. Schnell wurde klar, dass die Existenz von Globalisierung in der Frühen Neuzeit nicht generell bejaht oder verneint werden kann, sondern vielmehr als Grad gesehen werden sollte. Es gebe keinen Idealzustand an Globalisiertheit, an dem die Frühe Neuzeit gemessen werden kann.
Im Folgenden ging die Referentin auf Expansionsprozesse ein. Sie betonte, dass es sich in den wenigsten Fällen um zentral gesteuerte Prozesse handelte und meist private Handelskompanien und Missionsorden eine tragende Rolle spielten. Neben Wissensaustausch und Christianisierung war der Sklavenhandel ein zentraler Verbindungsfaktor. Dabei spielte sich sämtliches Handeln im Spannungsfeld von Kooperation und Konflikt ab, Vernetzungsprozesse liefen in verschiedene Richtungen und gingen keineswegs nur von europäischen Mächten aus.
Im Hinblick auf die Rolle des Nationalstaats im Kontext der Globalisierung stellte Prof. Lachenicht einen dialektischen Prozess fest, bei dem vorangehende nichtstaatliche Kolonialisierungsinitiativen nach deren Erfolg mehr staatliches Engagement hervorriefen. Unabhängigkeitsbestrebungen sah sie weniger als Reaktion auf zu viel Internationalität, sondern vielmehr auf ein Übermaß staatlicher Kontrollen ein, welche ihrerseits wiederum mehr Staatlichkeit bedingen.
In seinem Beitrag „Industrialisierung und Globalisierung im 19. Jahrhundert“ thematisierte Prof. Dr. Rainer Liedtke (Lehrstuhl für Europäische Geschichte, 19. und 20. Jahrhundert, an der Universität Regensburg) die Globalisierungseffekte eines an sich nicht globalen Prozesses: der Industrialisierung. Dabei betonte er zunächst, dass Industrialisierung und Globalisierung keinesfalls gleichzusetzende Prozesse seien, da es sich bei ersterer um eine äußerst selektive und partielle Entwicklung handele, die sich im nationalen, europäischen und globalen Vergleich oft nicht nur ungleichzeitig, sondern auch ungleich vollzog und dadurch grundlegend dem weltumspannenden/universellen Ansatz der Globalisierung entgegengesetzt erscheine. Auch den Begriff der Globalisierung selbst sieht Prof. Liedtke im Kontext des 19. Jahrhunderts problematisch, arbeitet lieber mit der Vorstellung eines Prozesseses der globalen Vernetzung und untersucht den Prozess der Industrialisierung als Teilbereich (technologische Seite) dieses Vernetzungsprozesses.
Als zentralen Vernetzungseffekt der Industrialisierung erörterte der Referent zunächst die aufgrund technischer Innovationen ermöglichte Massenanfertigung von Gütern, wofür einerseits der Bedarf an Rohstoffen durch Importe - auch aus entfernter gelegenen Gebieten der Welt, wie Baumwolle aus Nordamerika oder Asien für die Stoffproduktion in Großbritannien - gestillt wurde, andererseits der Verkauf dieser Güter - wiederum in entferntere Absatzmärkte dank neuer Transportmöglichkeiten - verschiedenste Gebiete miteinander vernetzte.
Im Folgenden ging Prof. Liedtke auf weitere zentrale Vernetzungsaspekte im Zuge der Industrialisierung ein: neue Transportmöglichkeiten aufgrund neuer/verbesserter Technologien (z. B. Dampftechnologie für Schifffahrt und Landtransport), Migrationsbewegungen (Binnenmigration, transkontinentale Migration), neue Kommunikationswege (z. B. elektromagnetische Telegrafie), Etablierung und Ausweitung eines komplexen Handelsnetzwerkes (v. a. durch den in den 1840er-Jahren eingeführten Freihandel), Standardisierung und stärkere Institutionalisierung des Finanzsystems (z. B. Einführung des Goldstandards).
Prof. Dr. Thomas Raithel (Institut für Zeitgeschichte München) referierte über den Zusammenhang von Demokratie und Globalisierung - in einem komplizierten Verhältnis stehende Konzepte. Er definierte Globalisierung als Prozesse von Ausweitung, Verdichtung und Vernetzung, die nicht zwangsläufig zur Gleichschaltung nationaler oder regionaler Besonderheiten führten (Stichwort: Fußball), und sieht sie weniger als autonomen Prozess, vielmehr als Resultat individuellen und gesellschaftlichen Handelns. Demokratie zeigte er als enorm breiten und wandelbaren Begriff, jedoch mit dem Kern der Volksherrschaft und der klassischen Gegenüberstellung zum autokratischen Staat. Auf Tocqueville zurückgreifend verwies Prof. Raithel auf ein von Egalität geprägtes Menschenbild und breite Mitwirkungsmöglichkeiten.
Das 20./21. Jahrhundert im Fokus, ging er unter anderem auf den universellen Anspruch modernen globalen Denkens sowie die globale Verbreitung der (westlichen) Demokratie ein. Die USA nehmen hier, nicht zuletzt durch W. Wilsons Forderung, die Welt müsse der Demokratie zugeführt werden, eine Vorreiterrolle ein, die jedoch auch kritisiert wird als amerikanisches Hegemonialstreben. Dass es neben dem deutschen Paradebeispiel von Demokratisierung auch Misserfolge in diesem Bestreben gibt, bei denen eine nationalstaatliche Adaption von Demokratie nicht gelang, kann auf mangelnde Bereitschaft zur Verankerung demokratischer Strukturen zurückgeführt werden. Afghanistan und der Irak seien als Beispiele genannt.
Ein aktuell besonders problematischer Aspekt ist die Ausweitung der Globalisierung und ihrer Folgen auf nationalstaatliche Demokratie. Konfliktpunkte sind hierbei unter anderem die Weltwirtschaft (insbesondere der Freihandel), globale Kommunikation und ihre Gefahren (z.B. durch Hacker), ein Formwandel der Politik (der letzten Endes die Politikverdrossenheit noch erhöht) sowie globale Migration und internationaler Terrorismus.
Als aktuelle und zukunftsweisende Ansätze und Postulate trans- und supranationaler Demokratie benannte Prof. Raithel ein zunehmendes transnationales Denken von Demokratie sowie die Stärkung trans- und supranationaler Organisation wie der NATO, allerdings auch mehr nichtstaatlicher Akteure. Trotz ihres engen Verhältnisses und daraus resultierender Wechselwirkungen können Demokratie und Globalisierung einander gefährden, ein als positiv zu begreifendes Fortbestehen ist nicht selbstverständlich. Laut Prof. Raithel sollte dieses Verhältnis aber auch nicht zu negativ gedacht werden, denn es gebe keine ernsthaften humanen Alternativen.
Das Regensburger Jubiläumskontaktstudium für Geschichts- und Sozialkundelehrer unterstrich einmal mehr die Bedeutung der Vernetzung von Universität und Schule über das Angebot der Lehramtsstudiengänge hinaus. Die nächsten beiden Runden der erfolgreichen Reihe sind schon angedacht.
Theo Emmer
Der Verfasser dankt den SHKs Theresa Hackl und Tamara Heger für die wertvolle Zuarbeit.